Daemon

— 1115 words — 6 min


Ich glaube, ich habe Daemon jetzt zum zweiten oder sogar dritten Mal gelesen. Diesmal habe ich ein paar Stellen rausgeschrieben, die ich besonders gut fand und die gut zum Nachdenken anregen.

Seite 419

Eroberung oder Regionalentwicklung

Lelands Private-Equity-Partnerschaften mit lokalen Entscheidungsträgern beförderten Unternehmungen wie Tagebau-Vorhaben in Papua-Neuguineas, Wasserprivatisierungsprojekte in Ecuador, Marmorbrüche in China, Ölbohrungen in Nigeria und den Bau von Pipelines in Myanmar. Wo immer es politische oder wirtschaftliche Machtrepräsentanten mit reichlich Ressourcen, zu vielen Rivalen und zu wenig Kapital gab, war Leland zu finden. Und obwohl die Projekte theoretisch dem Wohl der dortigen Bevölkerung dienten, machten sich ihre Wohltaten doch vor allem ein paar tausend Meilen entfernt bemerkbar.

Lelands Anlage-Offerten bedienten sich trockener statistischer Analysen, um notdürftig zu verschleiern, worin das Geschäft hauptsächlich bestand: in der Versklavung von deren Umwelt. Natürlich machten die Leland-Leute das nicht direkt, aber sie stellten die Leute ein, die die Leute einstellten, die es machten.

Die Menschheit hatte immer schon Profit aus Unterdrückung geschlagen. Bevor sich das Corporate Marketing der Sache annahm, nannte man es “Eroberung”. Jetzt war es Regionalentwicklung. Die Wikinger und die Mongolen hatten auch schon einen Blick für lukrative Objekte gehabt – aber Leland hatte sich die ganzen mühseligen Eroberungszüge erspart und sich ein Beispiel an den Römern genommen: Man heuerte einfach die Einheimischen an, sich als Franchisenehmer gegenseitig zu versklaven.

Darauf folgt noch ein kurzer Versuch der moralischen Rechtfertigung mit der Argumentation, dass die Leland Leute ja die Welt nicht erschufen, sondern nur darin zu leben versuchten. Deshalb sei dies kein unmoralisches Verhalten.


Seite 430

Variation im System.

Matthew Sobol erklärt den “erfolgreichsten Organismus aller Zeiten”: den Parasiten.

“Geschlechtliche Reproduktion existiert einzig und allein als Mittel im Kampf gegen Parasiten. Durch die Vermischung männlicher und weiblicher Gene erzeugt sexuelle Fortpflanzung Nachkommen, die genetisch weder mit dem männlichen noch mit dem weiblichen Elternteil identisch sind – sodass sich jede Generation von der vorigen unterscheidet und Eindringlinge, die das System zu infiltrieren versuchen, es mit einem beweglichen Ziel zu tun haben.

Doch trotz dieser Variation stellen Parasiten immer noch eine Bedrohung dar…“

Der Bildschirm zeige jetzt Farbfilmaufnahmen von Eingeborenen, die an grässlichen Formen von Parasitenbefall litten: Kinder mit Trommelbäuchen voller Würmer, Malariakranke.

“… und der Parasitismus entwickelt sich in Bezug auf jedes System, und das betrifft nicht nur Lebewesen. Je wniger Variation ein System aufweist, desto schneller werden Parasiten per Evolution in der Lage sein, es massenhaft zu infiltrieren…” […] “Perfekte Replikation macht jedes System anfällig…”


Seite 470

Als Hintergrund: Das Buch Daemon ist zuerst 2006 erschienen. Seit bereits 1975 ist die Staatsverschuldung durchgehend angestiegen, besonders durch den Afghanistan- und Irakkrieg und die Finanzkrise in den 2000er.

Die NSA hat ein Video “abgefangen”, in dem Matthew Sobol spricht.

Sobols Ausdruck war völlig neutral. Er blickte ein Weilchen stumm in die Kamera, bevor er sagte: “Man hat ein Zwanzig-Billionen-Dollar-Kartenhaus errichtet. Und dann Leuten wie Ihnen befohlen, es zu schützen. Und mich nennen Sie verrückt.”

Sobol ging die Klippenkante entlang. Die Kamera folgte ihm in Steady-Cam-Manie. “Technologie. Der materielle Ausdruck menschlichen Willens. Es begann mit simplen Werkzeugen. Dann kam das Rad, und so geht es bis heute weiter. Zivilisationen entstehen und vergehen auf Basis technologischer Innovation. Bronze weicht dem Eisen, das Eisen weicht dem Stahl. Der Stahl weicht dem Schießpulver. Das Schießpulver weicht der Elektronik.” Sobol sah wieder in die Kamera. “Denjenigen unter Ihnen, die nicht verstehen, was gegenwärtig passiert, möchte ich erklären: Die Große Diffusion hat begonnen—eine Ära, in der die Nationalstaaten zerfallen. Und auch das bewirkt die Technologie. In dem Maße, wie Länder in der Globalwirtschaft um Märkte konkurrieren, beschleunigt sich die Verbreitung—die Diffusion—hochentwickelter Technologie. Dies wird eine Diffusion der Macht nach sich ziehen. Und die Machtdiffusion wird Nationalstaaten zu einem ineffektiven Organisationsprinzip machen. Zuerst zerfallen marginale Staten. Größere Staaten werden nicht in der Lage sein, dies durch wirksame Investitionen aufzufangen. Die so entstehenden gesetzlosen Regionen werden zu Brutstätten des internationalen Verbrechens und Terrorismus. Bedrohungen, die sich gegen die zentralisierte Autorität richten, werden sich vervielfachen. Zentralisierte Macht wird gegen diese verteilten Bedrohungen schutzlos sein. Die ersten Anfänge dieser Entwicklung erleben Sie bereits.


Seite 540

Jon Ross und Merritt in Gebäude 29 (Daemon Task Force).

Merritt warf das Bild auf den Stapel. “Und wer bildet diese ganzen Gruppen?”

“Die Unzufriedenen, die Perspektivlosen, die Entwurzelten und Verbitterten. Weltweit.”

“Das sind ja einige.” Merritt ließ den Blick wieder durch den Raum schweifen und begriff zum ersten Mal, dass die Welt sich wirklich verändert hatte—dass sich eine Linie durch die Gesellschaft zog und die Zukunft eines jeden davon abhing, auf welcher Seite der Linie er stand. Noch nie war ihm so klar gewesen, dass Technologiebeherrschung ein Survival-Skill war.

Technologiebeherrschung: ein Surivalskill!


Seite 562

Loki in Gebäude 29

Philips dreht sich wieder zum Monitor und drückte erneut die Sprechtaste. “Loki, Sobol benutzt Sie. Was Sie da machen, ist Hochverrat. Wenn Sie sich jetzt ergeben, kann ich Ihnen helfen.

“Sie können mir helfen?” Er lachte. “Ich bin hier nicht der, der Hilfe braucht. Die Gesellschaft, die Sie verteidigen, ist dem Untergang geweiht.”

“Es ist auch ihre Gesellschaft, Loki.”

“Nein. Es ist die Gesellschaft meiner Eltern, nicht meine. Was hat sie meiner Generation denn zu bieten? Ein sinnloses Dasein. Ein langes, langweiliges Leben, in dem man jeden Tag von Leuten gemolken wird, die einem etwas verkaufen. Ein Leben als Herdenvieh einer dauerhaft herrschenden Klasse. Was soll ich mit dieser Gesellschaft, ihren Gesetzen, ihrem Versagen? Der Daemon hat das alles längst hinter sich gelassen.”


Seite 615

Eine Kultur der Lüge

Sobol zu Sebeck nach dessen vermeintlicher Hinrichtung.

“Die moderne Welt ist eine hocheffiziente Präzisionsmaschine. Aber genau das ist ihre Schwäche—ein loser Bolzen im Getriebe, und alles knirscht und kracht und kommt zum Stillstand. Was bleibt da noch für unsere Generation? Eine Kultur der Lüge, die die Schwäche kaschieren soll. Immer weniger Freiheit. Und das alles, um eine simple Tatsache zu verbergen: Die Postulate, auf die sich unsere Zivilisation gründet, sind nicht mehr gültig. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie sich doch mal eins: Warum konnte ich das alles realisieren?”

Sebeck veränderte nervös seine Sitzhaltung.


Seite 618

Sobol zu Sebeck.

Sobols Geist lehnte sich auf Sebecks Seite an die Schreibtischkante. “Ich habe den Verdacht, dass Demokratie in einer technologisch fortgeschrittenen Gesellschaft nicht praktikabel ist. Freie Menschen haben zu viel zerstörerische Macht. Aber ich werden Ihnen die Chance geben, das zu verifizieren oder zu widerlegen. Wenn Sie nicht beweisen können, dass die Demokratie auch in Zukunft für die Menschheit ein gangbarer Weg ist, dann werden die Menschen der Gesellschaft dienen—nicht umgekehrt. Aber eine Umwälzung kommt in jedem Fall. Ich sehe es, so deutlich, wie ich Sie da sitzen sehe.”


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